Koreakrieg: Ein "kleiner Krieg" mit massiven Folgen (2024)

Der erste bewaffnete Konflikt des Kalten Krieges hat nicht nur die koreanische Halbinsel geprägt. Auch die politische und wirtschaftliche Entwicklung der beiden Machtblöcke hat er bestimmt.

Bernd Stöver

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Koreakrieg: Ein "kleiner Krieg" mit massiven Folgen (1)

Die beiden Korea sind die letzten verbliebenen Staaten, deren Teilung heute noch auf die Beschlüsse des 1991 beendeten Kalten Krieges zurückgeht. Ausgangspunkt war der am 25.Juni 1950 beginnende Koreakrieg, der über drei Jahre dauerte, 22 Staaten einbezog und sich, was häufig ausgeblendet bleibt, mit dem bereits seit Jahren eskalierenden innerkoreanischen Bürgerkrieg zwischen «Rechts» und «Links» verband.

Strukturell betrachtet war der Koreakrieg der erste heisse «kleine Krieg» des Kalten Krieges, einer jener bewusst begrenzt gehaltenen Konflikte unterhalb der Atomschwelle, wie es sie in der Dritten Welt bis 1991 noch über hundert Mal geben sollte. Die verfeindeten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, die USA und die UdSSR, hatten die ehemalige japanische Kolonie 1945 schlicht in der Mitte am 38.Breitengrad geteilt, da keine Nachkriegskonzeption vorlag und keiner das Gebiet dem anderen ganz überlassen wollte. Im Norden entstand 1948 eine stalinistische Volksrepublik unter Kim Il Sung, im Süden ein autoritärer Staat unter Rhee Syng Man, der sich an die USA anlehnte.

«Klein» waren die kleinen Kriege nur gemessen an ihrer Alternative: des globalen Nuklearkriegs; extrem blutig waren sie fast immer. Als der Koreakrieg 1953 mit einem Waffenstillstand etwa wieder an derjenigen Stelle endete, wo er drei Jahre vorher begonnen hatte, hatte er rund 4,5 Millionen Tote gekostet, davon fast ein Drittel Zivilisten.

Die Frage, wer angegriffen hatte, blieb bis zur Öffnung der Archive 1991 ein Streitfall. Heute ist klar: Seit März 1949 verhandelte Kim Il Sung mit Stalin, um von ihm die Genehmigung für eine militärische Wiedervereinigung zu erhalten. Stalin gab am 9.Februar 1950 grünes Licht, allerdings mit dem Hinweis, dass direkte militärische Hilfe nur von Mao geleistet werden könne, der dies dann auch zusagte. Ironischerweise hielten die USA Rhee Syng Man ebenfalls für willens, einen solchen «Befreiungskrieg» zu führen, weswegen sie ihm keine schweren Waffen lieferten. Das hatte zur Folge, dass der Norden den Süden im Sommer 1950 schnell fast ganz überrannte.

Uno-Resolutionen zur Wiederherstellung Südkoreas folgten schon ab dem 25.Juni, aber erst am 15.September 1950 begann die Gegenoffensive, die bis zum Herbst fast ganz Nordkorea einnahm. Als Mao seinen versprochenen Entlastungsangriff im Oktober startete, wurden die Uno-Truppen wieder weit in den Süden zurückgedrängt. Schliesslich stabilisierte sich die Front ab Frühjahr 1951 mit heftigen Stellungskriegen etwa auf der Höhe der alten Grenze am 38.Breitengrad.

Parallel dazu begleiteten ein massiver Luftkrieg, aber auch blutige Massaker an der Zivilbevölkerung die Kämpfe. Die im Juli 1951 begonnenen Waffenstillstandsverhandlungen konnten erst am 27.Juli 1953 abgeschlossen werden. Damit verschwand der Koreakrieg zwar weitgehend aus den Schlagzeilen der Weltpresse. Jenseits davon und von der Öffentlichkeit meist unterschätzt, hatte er bis dahin aber bereits weitreichende Effekte gezeigt, die sich in den Folgejahren noch verstärkten.

Bis heute lebensgefährlich

In den beiden Korea sorgten die Zerstörung des Landes, die tiefen Traumata aus Krieg und Bürgerkrieg, die nun noch verstärkte Militarisierung beider Gesellschaften, Gedenk- und Legitimationskulturen, Entführungen, Bombenanschläge, Geheimdienstkriege und nicht zuletzt die immer weiter ausgebaute demilitarisierte Zone für eine Fortsetzung des Krieges auf anderen Ebenen.

Auch in Südkorea wurden Personen, die eine Aufklärung der Massaker forderten, verfolgt. Erst nach dem Ende der Militärherrschaft 1987/88 wurde es eher möglich, das «Beschweigen» zu durchbrechen, was 2005 zu einer «Wahrheits- und Versöhnungskommission» führte. In Nordkorea bleibt jede Infragestellung der offiziellen Doktrin, dass Südkorea im Bündnis mit den USA das Land überfallen habe, bis heute lebensgefährlich.

Tiefgreifend waren die Wirkungen des Koreakriegs auch bei den beiden Hauptgegnern des Kalten Krieges. So unterschiedlich ihre Ausgangspositionen auch waren – die UdSSR als Teil des Angriffs, die USA als grösster Uno-Truppen-Steller in der Verteidigung –, ihre Schlüsse waren vielfach vergleichbar. Beide stuften den Krieg als Verschärfung des Kalten Krieges ein, auf die man mit politischen, militärischen und wirtschaftlichen Massnahmen reagieren musste, die wiederum teilweise massive soziale Folgen nach sich zogen.

In der US-Politik und ihren Planungsstäben sorgte der Krieg zunächst für eine tiefe Verunsicherung. Man sah sich nicht nur erneut von einem «Pearl Harbor» überrascht, sondern auch wieder «asiatischer Kriegsführung» gegenüber, in der diesmal der Gegner sogar über geheimnisvolle psychologische Taktiken zu verfügen schien, um die eigenen Soldaten zum Überlaufen zu bewegen.

Als Antwort auf das «Versagen» der CIA, die Angriffsvorbereitungen nicht erkannt zu haben, entstand 1952 die National Security Agency (NSA), die speziell für die globale elektronische Aufklärung zuständig wurde. Als Reaktion auf das beunruhigende Verhalten von GI, von denen man keinesfalls erwartet hatte, dass sie in Gefangenschaft mit dem Feind kollaborieren würden, wurde eine Reihe von zum Teil haarsträubenden Psycho-Versuchsreihen zur «mentalen Kontrolle» unter der Ägide der CIA entwickelt (u.a. MKUltra), um die psychische Stabilität der eigenen Truppen für zukünftige Konflikte zu stärken.

Darüber hinaus entstand ein sehr spezielles Verhör-Handbuch, das unter dem Namen «Kubark Counterintelligence Interrogation» in die Geschichte der psychologischen Kriegsführung einging. Bis in die Gegenwart hat es in den «black sites» des Anti-Terror-Krieges Nachfolger gefunden.

Vorboten des Internets

Das strategische Gesamtkonzept («NSC 68») autorisierte Präsident Truman im September 1950. Es schrieb als Grundidee fest, dass der Kalte Krieg ein wirklicher Krieg anderer Art sei und daher von nun an für Krieg wie Frieden die gleichen Strategien zu gelten hätten.

Mitten im Koreakrieg brachte die vom Oberbefehlshaber Douglas MacArthur angestossene Debatte um eine Ausweitung der Militäroperationen auf China und den Einsatz von Nuklearwaffen dann noch eine weitere prinzipielle Klärung, die ebenfalls Gültigkeit für die Zukunft behielt: Atomwaffen sollten in kleinen Kriegen in der Dritten Welt nicht eingesetzt werden; sie waren allein der militärischen Auseinandersetzung mit dem Hauptgegner Sowjetunion vorbehalten.

«NSC 68» schrieb schon für 1951 eine Erhöhung der bereits gigantischen Militärausgaben um annähernd 70 Prozent vor, die in Rüstung, Forschung, Infrastruktur, Organisationen, Bündnisse und eine forcierte Digitalisierung flossen. IBM präsentierte 1952 den «Defense Calculator». Die digitale Vernetzung, die vor allem die Air Force vorantrieb, führte in den Sechzigern zu ersten Ansätzen eines militärischen «Internets».

Zusammen mit dem Personalzuwachs in vielen Bereichen wurde die Geldflut zum Auftakt einer neuen Prosperität, da der Anstieg und die Sicherheit von Arbeitsplätzen auch die Konsumbereitschaft wachsen liessen. Und da die USA aufgrund von Kapazitätsengpässen Aufträge auch in verbündete Staaten weitergaben, zog dieser Korea-Boom schliesslich fast die gesamte westliche Welt mit.

Gleichzeitig verschärfte sich der innenpolitische «kalte Bürgerkrieg». Tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten wurden jetzt rigoros aus dem öffentlichen Leben entfernt, und klare Loyalität zum Staat wurde eingefordert. Für die Verfolgung stand in den USA vor allem der Name des republikanischen Senators Joseph McCarthy. Eine der ungeahnten Fernwirkungen der Ideen von 1950 war, dass die Autoren von «NSC 68» fast dreissig Jahre später dafür sorgten, dass mit Ronald Reagan 1981 wieder ein Hardliner die US-Politik bestimmte.

In der UdSSR waren die Effekte des Koreakriegs ähnlich, obwohl sowjetische Soldaten nur inoffiziell am Krieg beteiligt waren. Auch hier baute man Rüstung, Bündnissystem, Infrastrukturen und Organisationen, nicht zuletzt der Geheimdienste, massiv aus. Im Rüstungswettlauf wurde jetzt die prestigeträchtige, kostenintensive Serienfertigung von Düsenbombern, so der Mjassischtschew Mya-4, begonnen. Ihr Bekanntwerden liess im Westen die Rede von der «Bomberlücke» aufkommen, die freilich so wenig existierte wie die beklagte «Raketenlücke». Innenpolitisch verschärfte sich auch hier die Verfolgung von Gegnern.

Die verstärkte Hilfe, die Mao nach seinem verlustreichen Einsatz in Korea erwartete und die für ihn vor allem die Lieferung der Atombombe hätte einschliessen müssen, wurde allerdings durch Stalins Misstrauen verhindert. Am Ende stand 1960 der sino-sowjetische Bruch, aus dem China wider Erwarten als dritte Weltmacht hervorging, die 1964 ihre eigene Atombombe zündete. Anders aber als in den USA, wo die Prosperität das «stolze Jahrzehnt» der 1950er Jahre prägte, ging die intensivierte Rüstung im «Ostblock» zulasten der Konsumerwartungen, was 1953 sogar mit zu Aufständen führte.

Das «Wirtschaftswunder» beginnt

Das geteilte Deutschland war der Ort, an dem man die unterschiedlichen Effekte des Koreakrieges gleichzeitig wie im Brennglas verfolgen konnte. Wie in Japan, dem anderen grossen Verantwortlichen für den Zweiten Weltkrieg, sorgte der Konflikt im Fernen Osten in beiden deutschen Staaten dafür, dass sie politisch rehabilitiert wurden und man sie nun in die zentralen Bündnisse des Kalten Krieges aufnahm. Proteste gegen den Koreakrieg und Sorgen, dass es hier zum vergleichbaren «Bruderkrieg» kommen würde, gab es in beiden Staaten.

Ökonomisch konnte allerdings nur die Bundesrepublik vom Korea-Boom profitieren. In der DDR folgten Stalins gigantischem Aufrüstungsprogramm nicht nur höhere Arbeitsnormen, sondern – wohl schlimmer – auch die Verringerung der Konsumgüterproduktion und damit das Ende der Hoffnungen auf ein besseres Leben. Als sich im Juni 1953 die Bevölkerung nicht nur in der DDR wehrte, wusste Moskau darauf nur eine Antwort: Bei der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes fanden über fünfzig Menschen den Tod. Den Bevölkerungsexodus konnte die Staatsführung schliesslich nur noch mit einer Mauer aufhalten.

In der Bundesrepublik hingegen schob der Koreakrieg das sprichwörtliche «Wirtschaftswunder» nun endgültig an. Weil die US-Fabriken seit Kriegsbeginn voll ausgelastet waren, füllten westdeutsche Betriebe, sogar in Westberlin, nun diese Lücke, was bereits 1952 den Aussenhandel verdoppelte. Dabei handelte es sich bei dieser «Kriegskonjunktur» weniger um direkte Militärgüter als vielmehr um gleichermassen für die zivile wie die Rüstungsindustrie verwendbare Produkte, etwa Drehmaschinen, wenngleich auch Munition geliefert wurde. In der Folge schrumpfte die Arbeitslosenquote, und die Binnennachfrage zog nachhaltig an.

Der kräftige Aufschwung zeigte sich auch darin, dass die Bundesrepublik nicht mehr auf finanzielle Hilfen der USA angewiesen war. Die Wachstumsgrenze lag dort, wo die Energiekapazitäten nicht mit dem Bedarf Schritt hielten. In der Erinnerung blieb aber vor allem das Gefühl, mit dem vom Koreakrieg angefeuerten Wirtschaftswunder wieder eine Normalität erreicht zu haben – und das überwog bei weitem die Kriegsängste.

Bernd Stöver ist Professor für internationale Geschichte an der Universität Potsdam und Autor des Buches «Geschichte des Koreakriegs. Schlachtfeld der Supermächte und ungelöster Konflikt» (Verlag C.H. Beck, 2013).

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